Jungpferd, Wildpferd – die ersten Schritte in der Ausbildung aus einer anderen Perspektive
Luuk kam im September 2019 2,5-jährig komplett roh zu mir.Mein erstes, eigenes „wildes“ Jungpferd. Meine Gedanken kreisten, bevor Luuk einzog. Wie lange würde es dauern, bis ich das wilde Pony mit dem Halfter und einem Seil vertraut machen könnte. Wie lange würde es dauern, bis ich ihn berühren oder ihm gar das Hufe geben beibringen würde?
Alles Dinge, die bisher bei meinen Pferden für mich immer ziemlich selbstverständlich waren. Dinge, denen ich zuvor keine große Aufmerksamkeit geschenkt habe.
Meine Gedanken wurden direkt nach der Ankunft von Luuk in Luft aufgelöst. Romo zeigte mir am ersten Tag, das wir Menschen mal wieder falsch lagen. Mit seiner kindlichen Art lud er Luuk ein sich sein Reich anzusehen. Da stiefelte eine kleine Pummelfee hinter einem jung gebliebenen Blinden her und ließ sich zum ersten Mal ein Stallgebäude und eine Selbsttränke zeigen. Völlig stressfrei und unaufgeregt. Vor mir stand ein junges, neugieriges Pferdekind. Wieso sollte er eigentlich Angst haben vor mir? Wieso sollte er sich „wild“ benehmen? Er möchte doch nur mit seinen Kinderaugen die Welt entdecken.
Diese Gedanken haben mich sofort ruhig werden lassen und mir ein enormes Vertrauen in die Arbeit mit Luuk gegeben. Ich brauche lediglich:
Zeit, Vertrauen, Konsequenz, Ruhe, Verständnis.
Erste Berührung – gemeinsame Zeit
Oft habe ich das Gefühl, das „sich Zeit lassen“ mit etwas, eine so hohe Kunst geworden ist, dass sie nur noch wenige Beherrschen. Dabei sagt doch schon ein altes Sprichwort: „Nur in der Ruhe liegt die Kraft“.
Pferde dagegen denken nicht an ihr Ablaufdatum, sondern leben im Hier und Jetzt. Sie verstehen nicht, wieso wir nur ein kleines Zeitfenster für sie haben und nicht einfach komplett in ihrer Herde verweilen. Enorm wichtig ist es für mich daher, gemeinsame Zeit einzuplanen.
Damit meine ich Zeit, ohne Training. Zeit, in der ich nichts von meinem Pferd „verlange“. Zeit, in der wir einfach WIR sind.
Bei Luuk stellte sich schnell heraus, dass er es liebt gekrault zu werden. Am liebsten stundenlangen und am ganzen Körper – sowohl mit weichen Putzbürsten, als auch mit der Hand. Bis heute planen wir immer wieder ausreichend Zeit ein, in welcher nichts anderes passiert, als das wir uns gegenseitig kraulen. Mal mit und Mal ohne Putzzeug. Gemeinsame Zeit schafft Nähe und Vertrauen, sie wird oft unterschätzt in unserem hektischen Alltag, doch ist sie viel wertvoller als jedes Training. Ein weiterer Vorteil: das Pferd verknüpft meine Hand mit etwas Positivem. Ich spüre Veränderungen im Pferdekörper, spüre die Muskulatur und kann mich selbst beim Abfahren des weichen Fells sehr gut entspannen.
Denkanstoß: wann hast du dir das letzte Mal „einfach etwas Zeit“ für dich und dein Pferd genommen ohne ein bestimmtes Ziel im Kopf zu haben?!
Halfter & Strick = gewöhnliche Alltagsgegenstände?!
Für viele Reiter/innen keine Frage. Auf Halftern, leichter Zug am Seil und das Pferd folgt gehorsam. Doch habt ihr euch bewusst mit dem Führtraining auseinandergesetzt?! Ist es wirklich selbstverständlich für das Pferd, dem Menschen zu folgen?
Die Gewöhnung an Halfter und Strick erfolgt bei den meisten deutschen Zuchtpferden bereits im Fohlenalter im Beisein der Mutterstute. Die Stute geht voraus, das Fohlen folgt – spielerisch wird das Führen konditioniert.
Luuk hingegen kannte weder Halfter noch Strick aus der Fohlenzeit. Das Halfter stellte in seinem Fall gar kein Problem dar. Er sah schnell bei Romo und Dami, das von dem Ding um seinen Kopf keine Gefahr ausging. Stolz trug er schon nach wenigen Tagen sein ganz eigenes Halfter, immer nur unter Aufsicht und mit langsamer Steigerung der Zeit.
Das Führen hingegen gestaltete sich etwas schwieriger. Mit Druck kann er bis heute nicht umgehen, bei jedem noch so kleinen Zug am Seil parkt der kleine Konik. Eine Herausforderung! Gelöst haben wir diese mit ganz viel Verständnis in der Freiarbeit, denn manchmal muss man – individuell je nach Charakter – Umwege gehen, um ans Ziel zu kommen. Frei folgte mir Luuk problemlos, die natürliche Sprache der Pferde liegt ihm. Dies haben wir uns zu nutzen gemacht und in die Freiarbeit nach und nach spielerisch das Seil integriert.
Nach nun einem Jahr ist aus dem Führtraining zu Beginn ein sicheres Spazieren gehen geworden. Zug am Seil ist jetzt nicht negativ verknüpft. Aktuell lernt er, angebunden zu stehen, denn auch dies ist eine wichtige Grundlage für die weitere Ausbildung.
In meiner Arbeit lerne ich aktuell immer wieder Mensch-Pferd-Paare kennen, die dem Alltag zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Sei es, dass das Pferd sich nicht an den Ohren anfassen lässt, Gegenwehr auf Zug am Seil oder aber auch das Anlegen von Trense, Kappzaum & Co. Die kleinen Dinge haben oft eine große Bedeutung, schenkt ihnen ausreichend Aufmerksamkeit – festigt und hinterfragt sie – immer wieder!