Die erste Begegnung

„Komm schon Ari, wir gucken ihn uns wenigstens einmal an“, sagte meine Mama fröhlich, während sie in ihren dunkelgrünen Skoda Octavia einstieg. Ich zog die Sonnenbrille ins Gesicht und stieg ein. „Er ist schließlich ein echter Trakehner, Nachkomme von Lehndorffs, einem bekannten Hengst. Damiano wurde spät gelegt, fein ausgebildet und seine Goldfuchsfarbe glänzt einzigartig in der Sonne. Ein richtig schicker Kerl erwartet uns“. Die Lobeshymne meiner Mum ging noch die nächste Stunde, die wir im Auto auf dem Weg nach Brandenburg verbrachten, so weiter. Umso näher wir dem Hof in Beelitz kamen, umso aufgeregter wurde ich, sollte ich doch gleich mein neues Lehrpferd treffen.

Ich war 15, mitten in der Pubertät. Zu meiner Mutter gehörte ihr Herzenspferd Milano. Mein Pony Kasimir und ich führten keine sonderlich gute Beziehung zueinander und meine geliebte, langjährige Reitbeteiligung hatte ich aufgrund eines Stallwechsels verlassen.

Jetzt sollte ich ihn also gleich treffen, mein eigenes Lehrpferd. Als wir auf den Hof einfuhren, kibbelten tausend Schmetterlinge in meinem Bauch.  Die Anlage war sehr gepflegt, Dami verbrachte hier die letzten 8 Jahre. Mamas Reitlehrerin kaufte ihn in jungen Jahren bei einer Auktion, bildete ihn aus und stellte ihn dann, als sie schwanger wurde nach Brandenburg.

Ein lauter Pfiff ertönte, dann sah ich am Horizont Dami und seinen Kumpel Fred angaloppieren. Mein Herz machte einen Satz, doch umso näher sie kamen, umso mehr fragte ich mich: SOLL ER DAS SEIN?Vor mir tauchte ein zerzotteltes Pferd auf, die Mähne hing wild in Dreads herunter. Die Hufe waren zu lang, doch der eingentliche Punkt: das Pferd bestand nur aus Bauch. Als hätte man ihn in der Mitte aufgeblasen und vier Beine dran gesteckt.

Irritiert schaute ich mich um: Und ähm… das soll er sein .. mein Lehrpferd.. ja?!

Die zweite Begegnung

M

ein Kopf brummte, um mich herum Dunkelheit. Der Geschmack von trockenem Sand bereitet sich auf meiner Zunge aus. Ich blinzelte und erkannte verschwommene Umrisse.

Vorsichtig rappelte ich mich auf, klopfte mir den Sand von meiner Reithose. Danach überprüfte ich routiniert, ob ich alles an meinem Körper heil geblieben war und begab ich mich auf die Suche nach meiner Brille. Mein Rücken schmerzte, ein Huf hatte mich gestriffen.

„Er braucht unsere Hilfe, aktuell kann sie ihn nicht bezahlen“, dröhnten die Worte in meinem Kopf. „Dami ist als Turnierpferd bis Klasse M ausgebildet, der wird dir eine Menge beibringen. Wir wollen nicht das er in falsche Hände kommt.“

Nach unserer ersten Begegnung hatte sich das Potential des piaffierenden Dressur-Pferdes vor meinem inneren Auge noch nicht so recht entfaltet. Immer wieder blickte ich ihn an und sah einfach nur eine Tonne auf vier Beinen. Bei jeder Bewegung schwappte der Bauch hin und her, sodass er Mühe hatte, die Hinterbeine korrekt zu setzen.

Bei der zweiten Begegnung im Dreck landen, das hatte ich nach meinem Kinderschreck-Pony Kasimir gebraucht! „Na besser als vom Pferd fallen“ entgegnete mir meine Mutter trocken, bevor ich auf die Weide ging, um Dami von seinem Strick zu befreien.

Noch vor wenigen Minuten waren wir auf dem Hof in Niedersachsen angekommen, auf dem wir die Sommerferien verbringen würden. Wir hatten Milano abgeladen und auf Dami gewartet. Hektisch schnaubend sprang dieser rückwärts vom Anhänger, als sich die Klappe öffnete. Das sollten wir dann wohl auch nochmal üben, mit meinem TURNIERPFERD.

Mürrisch streckte ich das Kinn in die Höhe, während meine Brille wackelnd wieder auf meiner Nase saß. „Nicht mit mir Freundchen! Ich bin sturer als du!“. Ich sammelte Dami wieder von der Wiese ein, schließlich wurde mir beigebracht, direkt zu wiederholen, wenn etwas schief gelaufen ist. Dami schnaubte laut, folgte mir einige Meter, um mir dann fest in den Oberarm zu beißen und erneut davon zu laufen. „Dieses Mistvieh!“, fluchte ich, während meine Mutter lachte: „Der wird dich noch einiges lehren!“.

Sprachlos stand ich auf der Wiese. Unsere erste Woche war traumhaft. So traumhaft, dass ich beschloss ihn auf jeden Fall zurück zu geben. Das Problem: diese Option gab es leider nicht.

Stur, Sturer…

„Anbinden kannst‘e den nur von beiden Seiten!“. „Aha“, dachte sich mein sturer Teenagerkopf, während ich den Knoten gekonnt am Anbinder befestigte. „Das probieren wir doch gleich einmal aus.“ Aus dem zotteligen Tier wollte ich heute, anlässlich unseres ersten Rittes, einen echten Dressurstar heraus putzen. Mähne bürsten, Schweif schneiden, Hufe fetten – eben das ganze Beauty-Programm.

Der M-Dressur-Kracher hampelte allerdings so schlimm von links nach rechts, dass ich nicht einmal dazu kam, die Bürste anzusetzen. Ich resignierte: „Wer nicht will der hat schon!“.

Satteln und Trensen konnte man „Norbert“ wie ich ihn liebevoll aufgrund seiner Sturheit getauft hatte, anscheinend nur im Sparprogramm.

In der Halle angekommen, stieg ich endlich auf. Knapp 10 Wochen kannten wir uns nun. Dami hatte sich in Berlin im Offenstall „eingelebt“ und der erste Speck war weg (der erste Tag im Offenstall = eine eigene Geschichte). Aufgeregt, dass erste Mal auf ihm zu sitzen gab ich die Schritthilfe.

Es passierte … nichts. Ich drückte also nochmal mit der Wade an den dicken Bauch.. wieder keine Reaktion. „Na gut, die Blöße kannst du dir ja jetzt nicht vor den anderen geben“, dachte ich und rammte die Ferse etwas fester in den Bauch. Doch es half alles nichts, wir standen wie angewurzelt in der Halle.

„Ähm, hat der eine Anleitung?“, fragte ich verzweifelt und dachte daran, dass ein tolles Dressurpferd vielleicht anders zu bedienen ist. „Ja, der läuft nur wenn du die richtige Hilfe gibst“. Aha! Na, das hat mir geholfen. Dankeschön! „Und was ist die richtige Hilfe?“. „Denke einfach nur ans Schritt gehen“.

Es dauerte einige Zeit bis ich mich entspannte und siehe da, wir bewegten uns tatsächlich vorwärts. Ich kam mir vor, wie ein Anfänger in seiner ersten Reitstunde. Dami bewegte sich zwar, aber er kontrollierte das Geschehen. Positiv überrascht war ich jedoch von seinem leichten Schwung, ganz leicht, fast tanzend fühlte sich der Trab an. Der Galopp war definitiv nicht seine Gangart, dafür fühlte ich mich aber sofort sehr sicher auf ihm.

Dieses erste Draufsitzen war für mich der Anfang, mein komplett bis dahin gelerntes Wissen zu überarbeiten. Dami sollte mir wirklich eine Menge beibringen in den nächsten Jahren, doch das wusste ich damals noch nicht.

Weiter geht es im nächsten Blogeintrag – Teil 2 !