Ein Tag, den ich definitiv nicht vergessen werde
„Ich gehe Dami von der Wiese holen“, sagte ich zu meiner Mutter. Der Offenstall lag auf der anderen Seite des Stallgebäudes. Ich schnappte mir Halfter und Seil und lief los. Nach den ersten Wochen wusste ich bereits, dass das Reinholen von „Norbert“, seine Zeit brauchen würde…
Es war jeden Tag dasselbe Spiel.: Ich rief motiviert seinen Namen „Daaaamiiiii“! Am Horizont erblickte ich den Goldfuchs, er mich anscheinend auch. Fröhlich blieb er stehen und graste weiter. Ich begab mich auf den weiten Weg. Bei der Herde angekommen, knapp einen Meter vor Dami, drehte dieser ab. Erst gemütlich im Schritt, dann schneller begann er seine Runden um die Herde zu drehen. Wir wiederholten das Spiel bis ich alle Phasen durchlebt hatte: geduldig, wütend, traurig. Erst dann kam er zu mir.
Heute hatte ich Training um 11 Uhr, eine feste Uhrzeit bedeutete Zeitdruck. Als ich auf die Wiese kam und seinen Namen rief, sah ich schon, das Dami gemütlich in der Sonne lag und döste. „Das ist ja heute einfach“, dachte ich und ging etwas schneller. Dami blieb liegen, als ich ankam. Ich zog ihm das Halfter um und motivierte ihn zum Aufstehen. Dami entfuhr ein tiefer Seufzer, gefolgt von Stöhnen.
Sofort schrillten alle Alarmglocken in mir „Hat er etwa eine Kolik?“. Als er sich dann auch noch seitlich hinlegte und weiter stöhnte rief ich im Stall an. Ich brauchte Hilfe. Als nach 30 Minuten die Helfer eintrafen, begannen wir mit vereinten Kräften und Longen Dami dazu zu motivieren aufzustehen. Es half alles nichts, das Pferd lag und stöhnte weiter.
Hoffnungslosigkeit machte sich in mir breit. Meine Mutter ging mit dem Trainer zum Hof, bereit den Tierarzt zu rufen und den Traktor zu holen, um Dami schnellstmöglich helfen oder ihn sogar in die Klinik bringen zu können.
Nach knapp 2 Stunden stand dieser hingegen entspannt auf, schüttelte sich einmal und ging völlig selbstverständlich mit mir in Richtung Ausgang. Die Trainingsstunde hatten wir natürlich verpasst. Dieses Pferd hat mich schon einige Nerven gekostet, aber diesen einen Tag, werde ich wohl nie vergessen.
Tatsächlich wurde er trotzdem untersucht: Diagnose: kerngesunder Trakehner.
Das erste Training
ein Pony Kasimir war ein ziemlicher Kinderschreck, dennoch liebte ich ihn aufrichtig. Trotz der Diagnose unreitbar, wollte ich ihn nicht aus meinem Leben streichen. Meine Mutter wollte ihn aufs Land in eine große Herde stellen, ich wollte ihn weiterhin besuchen können. Der Kompromiss: er landete bei einem Horseman, ehemaligen Stuntreiter, Trainer mit dem Schwerpunkt „Problempferde-Training“. Ein Pferdenarr mit unglaublich großem Wissen, der uns einige Zeit begleitete, sehr viel lehrte und mein Pony tatsächlich wieder hinbog.
„Ich bin so gespannt auf seine Meinung“, sagte ich zu meiner Mutter, während ich Dami striegelte. Heute stand unser erstes Horsmanship-Training in der Halle an, denn so leicht, wollte ich nicht aufgeben. Die Arbeit am Boden sollte die Grundlage, für eine besser, vertrauensvollere Beziehung schaffen.
Unser Trainer betrat die Stallgasse und begrüße Dami und uns herzlich. Lange schaute er sich Dami an, dann mich, dann begann er zu lachen.
„Ari, mit dem brauchste doch nun wirklich nicht zu mir kommen!“, sagte er. Mit großen Augen schaute ich ihn erschrocken an. „Verrätst du mir was los ist?“
„Sehr gerne, aber erst nach dem Training heute“, sagte er lachend und wir legten los….
„Du schickst ihn jetzt raus und dann lässt du ihn entspannt (frei) um dich herum traben“, soweit waren die Anweisungen klar. Dami trabte schnaufend eine halbe Runde um mich herum, dann drehte er entspannt ab und verlor seinen Weg in der 80m langen Reithalle. Ich hechelte hinterher, konzentrierte mich darauf ihn weiter vorwärts zu treiben. Voll fokussiert schickte ich ihn mit meiner Körpersprache erst in die linke, dann in die rechte Ecke, ließ ihn nicht entkommen. Nach einigen Runden wendete ich mich, wie ich es gelernt hatte ab, und lud ihn mit der Schulter ein zu mir zu kommen. Dami sah mich mit großen Augen an, schnaufte zufrieden, ging in die andere Ecke der Halle und schaute dort aus dem großen Tor auf die grüne Wiesenlandschaft. Er ignorierte mich, drehte mir den Hintern zu.
Knapp eine Stunde hatte wir dieses Spiel nun gespielt. Eine klassische erste Horsemanship Stunde zielt darauf ab, zu einem positiven Ende zu kommen, indem das Pferd entweder kaut und schleckt (Zufriedenheit zeigt) und im Idealfall zumindest auf den Menschen zukommt (ihn respektiert). Nun saß ich hier mittlerweile völlig verzweifelt mit Bestechungsfutter, gar nicht mehr im Horsemanship-Sinne (ich Boss- du nix), doch Norbert bewegte sich eher von mir weg, als auf mich zu. Keiner der bisherigen Trainingsansätze die ich bis dahin gelernt oder probiert hatte, hatte funktioniert. Verzweifelt und einem Heulkrampf nahe, ging ich zurück zum Ausgang und gab auf.
„Siehst du“, sagte ich zu meinem Trainer „genau das macht er auch auf der Weide mit mir. Er ignoriert mich einfach.“ Weise lächelnd sah er mich an: „Trakehner – von Tausend geht eener! Da hast’e wohl leider nicht den einen erwischt & deiner hat ziemlich dicht gemacht“, erwiderte er lachend.
„Hmm“ brummte ich, „ich verstehe immer noch nicht, wieso du vorhin so gelacht hast.“„Weil ich in der ersten Sekunde verstanden habe, worin bei euch das Problem liegt. Du musst selbst an der Aufgabe wachsen, also schaue dir deinen Fuchs in Ruhe an und denke nicht nur in der Gegenwart. Ich kann euch beiden hier leider nicht weiterhelfen“, damit ließ er mich mit vielen Fragezeichen im Kopf einfach stehen.
„Denke nicht nur in der Gegenwart“…
…ist ein wirklich schöner Satz, dachte ich. Was hat Dami denn bisher in seinem Leben so erlebt. Ich ließ mich in den Sandboden der Reithalle sinken und begann zu grübeln.
Dami wuchs in einem wunderschönen kleinen Zuchtbetrieb auf, der sich auf alte Trakehner Rassen spezialisiert hat. Aufgrund seiner Abstammung war direkt klar: dieser Goldfuchs muss in die Zucht. Leider entwickelten sich seine Hufe nicht ideal, es fehlten einige cm an Körpergröße. 4-jährig wurde er gelegt. Seine Vorbesitzerin sah ihn in einer Auktion bereits als Jungspund und verliebte sich in die großen Kulleraugen.
Er wurde schonend angeritten, mit dem Ziel aus ihm einen Dressur-Leistungsträger zu machen. Daher wechselte er alle paar Monate den Stall, um von einem anderen Trainer besser / weiter ausgebildet zu werden. Als er endlich die Piaffe begriffen hatte, wurde die Vorbesitzerin schwanger, entschied sich dazu Dami auf Wiese zu stellen und nicht zu verkaufen mit dem Gedanken, ihm etwas Gutes zu tun. Solch ein sensibles und gleichzeitig nicht einfaches Pferd wollte sich nicht in falsche Hände kommen lassen, daher entschied sie sich gegen einen Verkauf.
Aus dem „kurz-mal-weg-stellen“ wurden knapp 8 Jahre. In dieser Zeit stand er mit einem weiteren Kumpel außerhalb, wurde nur wenige Male besucht, war aber in besten Händen.
Aufmerksam schaute ich ihn an und versuchte aus meiner kurzen Lebenserfahrung mit gerade einmal 15 Jahren, schlau aus dieser Lebensgeschichte zu werden. Was hat ihn so stur werden lassen….?
Ich saß gedankenverloren im Sand und beobachtete Dami mit großen Augen, welcher immer noch vor dem großen Hallenfenster stand. Mittlerweile hatte er ein Hinterbein leicht angewinkelt, die Unterlippe hing und er schien tatsächlich etwas weg gedöst zu sein.
Ich rappelte mich auf, schnappte mir Halfter und Strick und machte mich auf den Weg ihn zurück zum Offenstall zu bringen. Nachdem ich ihn auf die Weide gebracht hatte, macht er sich lauthals wiehernd auf den Weg zu seiner Herde. Freudestrahlend begrüßte er seine Stutenfreundin, bevor sie gemeinsam in die Felder zogen.
Hier ist er glücklich, hier ist er frei, dachte ich. Doch wieso kann ich ihm das nicht bieten.
Es dauerte einige Zeit bis ich begriff, was Dami und auch ein wenig mich miteinander verband, uns stur, ungeduldig und unfair werden ließ, denn wie sagt man so schön: „Das Pferd ist der Spiegel deiner Seele“.
Das kleine Wort mit dem Schlüssel zu unserem Glück lautet: Verlustangst.
Verlustangst
Es gibt Pferde, die durchaus mit mehreren Bezugspersonen glücklich sein können (Romo zum Beispiel) und dann gibt es die, die sich fest an ihre Herde binden. Sie wollen sich auf ihre Bezugsperson verlassen können.
Dami hingegen knabberte daran, verlassen und abgestellt worden zu sein. Meine Aufgabe bestand also darin, ihm zu beweisen, dass ich jeden Tag wiederkommen würde, in guten und in schlechten Zeiten. Irgendwie musste ich es schaffen, seine Mauer zu durchbrechen und ihn zu lehren, Liebe zuzulassen.
Seitdem ich das begriffen hatte, fuhr ich fast täglich in den Stall. Oft radelte ich nach der Schule los und meine Mama sammelte mich abends wieder ein und fuhr mich nach Hause. Jeden zweiten Tag holte ich ihn einfach nur von der Wiese, brachte ihm Futter und stellte ihn dann wieder zurück. Kein (Horsemanship) Training dieser Welt, hätte das erreichen können, was uns diese Zeit miteinander gebracht hat. Mir hat dieses Erlebnis die Augen geöffnet und mich gelehrt, niemals die Vergangenheit eines Pferdes zu unterschätzen. Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.