Blindenspezifische Arbeit

Romo ist mir vollständig sehend begegnet, wir haben also auch visuell miteinander gearbeitet. Wie ihr wisst, erblindete er sehr plötzlich. Eine längere Umstiegs- und Vorbereitungsphase auf die Erblindung hatte ich nicht. Auch gab es keinerlei Trainer, die sich zu diesem Zeitpunkt mit einem ehem. Problempferd (Steiger, Buckler, Panikattacken) und der Erblindung zusammen auseinandersetzen konnten.

Ich war auf mich allein gestellt und habe durch diese Zeit enorm viel gelernt.

Ein der lehrreichsten Erfahrungen, die ich sammeln durfte, ist das kleinschrittige Aufschlüsseln von Trainingsaufgaben. Ein Beispiel dazu: Ich wollte Romo beibringen über eine Stange zu gehen. Dies ist kein Kunststück, sondern für ihn sehr wichtig um Bodenunebenheiten (z.B. im Stall oder Gelände) angst- und verletzungsfrei überwinden zu können.

Bei einem sehenden Pferd lege ich die Stange auf den Boden und gehe darüber. Im schlimmsten Fall berührt es die Stange ein paar Mal, bis es verstanden hat, dass es die Füße geben soll. Fertig.

Wir wiederholen das ganze bei einem (vollständig) blinden Pferd. Ich lege die Stange auf den Boden. Die Wahrnehmung wird zu Beginn folgende sein: sie ist nicht vorhanden. Das frisch erblindete Pferd geht also mit der Intention los, das auf dem Boden vor ihm nichts liegt. Es wird an die Stange kommen, im schlimmsten Fall panisch reagieren und zurück gehen. Was ist nun zu tun? Das ist eine Aufgabe, die man in keinem Lehrbuch geschrieben findet: ich bin gezwungen kleinschrittiger vorzugehen.

Lektion 1: Ich lege die Stange auf den Boden. Ich halte mein Pferd möglichst dicht vor der Stange an. Ich klopfe auf die Stange mit einer Gerte oder meinem Fuss, damit das Pferd die Chance hat den Gegenstand wahrzunehmen. Ich lasse die Stange leicht an die Vorderbeine heran rollen, das Pferd fühlt nun den Gegenstand.

Lektion 2: Ich etabliere ohne eine Stange das Signal „Heb“, was bei sehenden Pferden als spanischer Schritt fungiert. Nachdem ich das Heb beidseitig gefestigt habe, geht es zurück zur Stange. Ich stelle mein Pferd wieder vor die Stange, zeige ihm die Stange und fordere es zu „Heb“ auf. Nun folgt ein leichter Zug am Seil und wir lernen das Hindernis gemeinsam zu überwinden.

Kleinschrittiges Aufschlüsseln von Aufgaben wie dieser, gehört nun seit 4 Jahren zu meinem Alltag. Dinge, die für viele Pferdebesitzer vollkommen normal sind, sehe ich dank Romo in einem anderen Licht. Es hat mir sehr geholfen, jede einzelne Übung – am Boden und im Sattel – aufzuschlüssen und zu hinterfragen. Dieses Wissen darf ich nun weitergeben und kann nicht nur blinden, sondern vielen Pferden damit helfen.