Wenn ich bei meinem Pferd ankomme, vergesse ich den Alltag. Oder doch nicht?!

Nach dem Feierabend noch mal schnell zum Pferd fahren, sich auf seinen Rücken setzen und abschalten – nicht viel mehr wünschen sich viele Reiter von ihrem Feierabend.
Doch war der Arbeitstag oft lang und mühselig, viel schwirrt uns noch durch den Kopf und so richtig fit sind wir auch nicht mehr. Vielleicht haben wir uns sogar richtig über etwas oder jemanden geärgert und tragen noch eine Portion Wut im Bauch.

Beim Pferd angekommen wird dieses oft nur kurz begrüßt, bis man seine Sachen zusammen sucht und mit den netten Reitkollegen quatscht. Nach der ersten Kaffeepause wird dann ein Verbündeter zum Putzen gesucht, die Pferde werden nebenbei fertig gemacht und gemeinsam geht’s los zum Reiten. Ein richtiges Sportpferd muss schließlich trainiert werden.

Beim gemeinsamen Schritt-Gehen am langen Zügel entspannt man sich noch mit einem netten Plausch mit der Reitfreundin oder spricht lautstark in sein Mobiltelefon. Nicht zu vergessen sind die Musikfans, die erst mal das Radio voll einschalten.

Nach einer halben Stunde stellt der Reiter dann oftmals fest: der Gaul läuft ja heute mal so gar nicht! Krücke! Wieso funktioniert der denn nun wieder nicht?!

Viel zu oft musste ich dieses Phänomen in meinem jungen Reiterleben mit ansehen. Ich selbst habe als Kind schon eingeprägt bekommen: „Beim Reiten wird sich konzentriert“.

Foto: Romo 2016 – zwei Monate nach der Erblindung

Doch was heißt das überhaupt?! Wir platzen mit unserem ganzen Sorgen und Problemen abends in den Alltag unseres Vierbeiners. Anstatt dort erst einmal in Ruhe anzukommen und sich mit dem Pferd zu beschäftigen, scheinen viele den Drang der Gruppendynamik zu leben. Es wird sich unterhalten, den Alltagssorgen nachgegangen oder über den neusten Tratsch ausgetauscht, anstatt schon beim Putzen darauf zu achten, was das Pferd grade möchte.

Die Kommunikation miteinander findet einseitig statt. Der Mensch bestimmt, das Pferd gehorcht und schaltet ab. Spätestens beim Aufsteigen sollte man sich auf seinen Sitz konzentrieren, auf die Bahnfiguren die man gemeinsam bestreiten will sowie auf den Körper des Tieres. Anstattdessen suchen wir die Fehler beim Pferd, welches wohl mal wieder einen schlechten Tag zu haben scheint.

Konzentrieren heißt nicht, dass man angestrengt versuchen muss sich auf etwas zu fokussieren. In diesem Fall heißt konzentrieren lediglich: lass dich auf dein Pferd ein und finde deine innere Ruhe.

Wenn ich eins im letzten Jahr gelernt habe, dann ist es, dass jeder Tag unterschiedlich ist und ich meine Launen nie am Pferd auslassen darf. Die Kunst des Reitens besteht nicht unbedingt aus einer Technik, sondern aus einem Gefühl. Dieses Gefühl wurzelt in der Konzentration und der Kunst, es zu schaffen, auch nach einem langen Tag für sein Pferd einen freien Kopf zu bewahren. Seine Sorgen abzulegen und seinen Fokus auf das Miteinander zu legen

Merke ich, dass mein Kopf woanders ist, mache ich spielerisch Bodenarbeit oder gehe einfach nur etwas entspanntes mit den Jungs machen. Es zwingt uns niemand etwas anderes zu tun, höchstens der soziale Drang der um uns herum stattfindet. Doch diesem muss man sich nicht beugen. Wir sind frei in unserer Entscheidung und werden nur weiter kommen, indem wir auch einmal neue Wege gehen.

Sofern ihr euch angesprochen fühlt, nehmt euch doch diese Woche folgendes vor:
Erlebt einen Tag indem ihr euch voll und ganz auf euer Pferd konzentriert. Ohne mit einem lieben Kollegen endlos zu quatschen und ohne ungerecht seine Sorgen auf den Vierbeiner zu übertragen. Erlebt einmal das Miteinander, bei dem man nur zu zweit ist. Das ist für mich mein tägliches Abschalten ❤

Tipp: Ich stelle mir sinnbildlich bei jedem Betreten des Stalles vor, das ich meine Sorgen vor der Hoftür / Hofeinfahrt liegen lasse. Ich betrete das Stallgelände frei und innerlich ruhig. Erst beim Verlassen dieses Ruheortes, holen mich die Alltagssorgen wieder ein.